Zukunft Zollstrasse Januar 2018

31.01.2018Zukunft Zollstrasse: Integration – wie gelingt es?

Der erste Anlass des neuen Veranstaltungsprogramms Zukunft Zollstrasse förderte neue Ideen zu Tage, wie Zugewanderte, die sich vielleicht eine Genossenschaftsmitgliedschaft nicht leisten können, trotzdem berücksichtigt und in die Gemeinschaft eingebunden werden könnten.

«Ich will nicht nur wohnen, sondern auch leben!» sagt Malik, Geflüchteter aus Damaskus, wartend auf die Beurteilung seines Asylantrags in der Schweiz.  Leben wurde in seiner Heimat Syrien zunehmend unmöglich, der Krieg zerfrisst das Land. Leben tut er hier aber auch noch nicht, denn er fühlt sich noch immer wenig eingebunden in die schweizerische Gesellschaft, obwohl er innert kürzester Zeit Deutsch gelernt hat und sich vielerorts engagiert. Die Art zu Wohnen sei dabei eine der grössten Herausforderungen, sagt Malik. Nach der überfüllten Asylunterkunft ohne jegliche Privatsphäre wohnt er zurzeit in einer WG. Das sei zwar eine Wohnform, die er schätze und die ihn auch in Kontakt mit Mitmenschen bringt, aber sie ist beschränkt auf die WG-Wohnung. Sobald er diese verlässt, sage man sich nicht mal mehr «Hallo» im Treppenhaus.

Es geht auch anders – ein Gegenmodell?

Dieses kalte nachbarschaftliche Verhältnis ist aber nicht unbedingt die schweizerische Norm, es kommt extrem stark darauf an, in welcher Nachbarschaft man wohnt und wie die Mitbestimmungsmöglichkeiten da sind. Abdehab beispielsweise, Flüchtling aus Eritrea und fest aufgenommen in der Schweiz, wohnt mit seiner Familie im Wohn- und Gewerbebau Kalkbreite und kann, wenn er will, monatlich an Mieter*innen Versammlungen teilnehmen und so über Themen in seinem direkten Lebensumfeld mitbestimmen. Seine Kinder sprechen bereits schweizerdeutsch und tollen mit den Nachbarskindern im Hof umher. Er schätzt diese nachbarschaftliche Kultur, schätzt es aber auch, dass er an gemeinschaftlichen Aktivitäten zwar teilnehmen kann, aber nach einer langen anstrengenden Arbeitswoche nicht muss, sondern sich auch in die Familienwohnung zurückziehen kann. «Ich würde es sehr schätzen, wenn es mehr solche Orte wie die Kalkbreite gäbe» sagt Malik. «Ich würde mich sofort engagieren und meine Themen einbringen.» Er erwarte auch gar nicht, dass das Zusammenleben unter Familien und Nachbarn so eng und herzlich sei wie in Damaskus, das würde nicht der schweizerischen Kultur entsprechen. Aber etwas mehr Gemeinschaftlichkeit und gepflegte Nachbarschaft täte vielen Schweizern gut, ist er überzeugt.

Nachbarschaftskontakte werden im Alter noch wichtiger

«Beim Zusammenleben ist mir der Respekt untereinander wichtig, nicht, woher jemand kommt und was für Einstellungen man hat.» Auch Aschwak ist dieser Meinung. Sie ist vor über 30 Jahren aus dem Iran geflüchtet und wohnt heute ebenfalls in einer Genossenschaft. «Mehr Vernetzung und Gemeinschaftlichkeit mit den Nachbarn wird vor allem im Alter wichtiger» ist sie überzeugt. «Je älter man wird, desto kleiner werden die Radien, in denen man sich bewegt. Umso wichtiger wird ein guter Austausch mit Nachbarn». Hier könnte die Gesellschaft noch ein gutes Stück lernen von anderen Kulturen, ist sie überzeugt. Aschwak kommt immer wieder mit frisch Zugewanderten in Kontakt, sie arbeitet für die Asylorganisation Zürich AOZ. Dort begleitet Sie geflüchtete Familien im Schweizer Alltag und ist als Übersetzerin tätig.

Realwohnersatz für die AOZ

Die Genossenschaft Kalkbreite hat nicht nur in ihrer ersten Liegenschaft Kalkbreite Zugewanderte eingemietet, sondern plant auch im Neubau Zollhaus eine Gruppe von Geflüchteten ein. Diese waren in einer alten Liegenschaft auf dem Areal Zollhaus eingemietet, die für den Neubau rückgebaut wurde. Vermieterin war die AOZ. Die Genossenschaft bietet nun der AOZ Realwohnersatz für 23 geflüchtete Menschen im Neubau an.

Verlosung für mehr Chancengleichheit?

Trotz dieser Ansätze zeigte der erste Anlass des neuen Veranstaltungsprogramms «Zukunft Zollstrasse» weiteren Handlungsbedarf auf. Beispielsweise wurde deutlich, dass sich Zugewanderte oft eine Mitgliedschaft in einer Genossenschaft wie der Kalkbreite nicht leisten können. Sie sind somit von Beginn weg ausgeschlossen, wenn es darum geht, eine Wohnung zu ergattern. Alle Wohnungen werden nämlich nur unter den Mitgliedern ausgeschrieben, weil die Nachfrage so schon das Angebot bei Weitem übersteigt. Wie kann denn aber sichergestellt werden, dass auch solche Personen in einer gut durchmischten Siedlung vertreten sind, wie es das Ideal der Genossenschaft Kalkbreite ist? Wäre es allenfalls möglich, eine bestimmte Anzahl Mitgliedschaften pro Jahr zu verlosen, finanziert aus dem Solidaritätsfonds? Und müssten dann nicht konsequenterweise auch eine bestimmte Anzahl Wohnungen für diesen «zweiten» Wohnungsmarkt reserviert werden?

Text & Bilder: Valérie Clapasson

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